„Allein auf weiter Flur?“


Meine Lernkurve mit T1D“

Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus und dem ersten Schock über die „neue Realität“ kam der Moment, in dem ich feststellte: Das ist kein Praktikum mehr. Das ist das echte Leben. Und das mit Blutzucker, der seine eigenen Pläne hatte. Mein Diabetes-Manager hatte schließlich keine Schicht mehr!

Der Sprung ins kalte Wasser: Mein Privatunterricht im Zucker-Management

Plötzlich stand ich da, mit einem Stapel Anleitungen, einem Kühlschrank voller Insulin und dem Gefühl, vor einem riesigen, unbekannten See zu stehen. Die Theorie aus dem Krankenhaus war ja ganz nett gewesen. Ich konnte alle Fachbegriffe herunterbeten, wusste, wie Insulin wirkt, und hatte verstanden, dass Kohlenhydrate meine neuen Erzfeinde waren (oder gute Freunde, je nachdem, wie ich sie behandelte). Aber die Praxis? Das war eine ganz andere Liga.

Erinnerst du dich an den Moment, als du das erste Mal ohne Fahrlehrer Auto gefahren bist? So ähnlich fühlte sich das an. Nur, dass meine Bremsen und mein Gaspedal aus Blutzucker, Spritzen und Kohlenhydraten / Protein Einheiten bestanden, und niemand da war, der im Notfall eingreifen konnte. Die Insulindosis alleine anpassen? Das war wie ein Mathematik-Leistungskurs, für den ich nie eine Nachhilfe hatte. Ein bisschen mehr Pizza? Dann muss auch mehr Insulin her! Aber wie viel ist „mehr“? Die Angst, etwas falsch zu machen, war mein ständiger Beifahrer.

Trial and Error: Die verrückte Wissenschaft des Blutzuckers

Mein Leben wurde zu einem einzigen, großen Experiment nach dem Prinzip „Trial and Error“. Und glaubt mir, es gab mehr „Errors“ als „Trials“.

  • Das Kohlenhydrat-Ratespiel: Wer hätte gedacht, dass eine Scheibe Brot so viel Torgefahr für meinen Blutzucker entwickeln kann? Oder dass ein Apfel ein unberechenbares Biest ist? Ich habe Kohlenhydrate anfangs wahrscheinlich so oft falsch eingeschätzt, dass meine Werte aussahen wie eine Berg- und Talfahrt bei den Alpen. Da gab es Tage, an denen ich dachte, ich hätte alles im Griff, und plötzlich schoss der Zucker durch die Decke. Oops!
  • Der „Zu-spät-gespritzt“-Blues: Manchmal war ich einfach zu optimistisch, dachte: „Ach, das bisschen Warten macht nichts!“ Und zack, der Blutzucker war schon außer Kontrolle, bevor das Insulin überhaupt in die Gänge kam. Es war wie ein Rennen gegen die Zeit, das ich oft genug verloren habe. „Liebes Insulin, könntest du dich vielleicht beeilen?! Dein Kumpel Zucker ist schon im Ziel!“

Aus diesen Fehlern habe ich aber gelernt. Jedes Hoch und jedes Tief, jede falsche Dosis hat mich gelehrt, genauer hinzusehen, geduldiger zu sein und vor allem: gnädiger mit mir selbst zu sein. Es ist kein Sprint, es ist ein Marathon, und manchmal muss man eben stolpern, um den richtigen Schritt zu finden.

Momente der Frustration: Wenn der Zucker einfach nicht will

Es gab sie, die Momente, in denen ich mich einfach nur auf den Boden hätte legen und heulen können. Wenn mein Blutzucker trotz aller Bemühungen nicht das tat, was er sollte. Wenn ich mich überfordert fühlte von der ständigen Rechnerei, den Messungen, dem Gefühl, niemals wirklich frei zu sein.

Manchmal schlich sich das Gefühl ein, allein auf weiter Flur zu sein, obwohl ich wusste, dass das nicht stimmte. Dieses unsichtbare Band des Diabetes, das mich an seine Regeln kettete, konnte unglaublich einsam machen. Wenn andere einfach spontan ein Eis essen konnten und ich erst rechnen, spritzen und warten musste, fragte ich mich schon: Warum ich?

Kleine Siege: Wenn der Zucker plötzlich mitspielt

Aber dann kamen sie: Die kleinen Siege, die Balsam für die geschundene Diabetes-Seele waren. Und glaubt mir, diese Momente glänzten heller als jeder perfekt sitzende Blutzuckerwert.

Da war das erste Mal, dass ich ein komplexes Gericht gekocht und die Kohlenhydrate perfekt eingeschätzt hatte – und der Blutzucker nach drei Stunden war exakt im Zielbereich! Ein innerer Freudenschrei, als hätte ich gerade den Nobelpreis für Diabetologie gewonnen. Oder die erfolgreiche Korrektur, wenn ein hoher Wert sich tatsächlich nach meiner Berechnungsformel richtete und wieder in den grünen Bereich sank. Ein Gefühl von Kontrolle, von Macht über diese unsichtbare Krankheit, das unbezahlbar war.

Diese kleinen Triumphe sind es, die mir gezeigt haben: Ich kann das! Es ist mühsam, manchmal frustrierend, aber ich wachse mit jeder Herausforderung. Und jede gemeisterte Kurve ist ein Beweis dafür, dass ich nicht nur mit Diabetes lebe, sondern lebe – mit Diabetes.


Die Lernkurve ist steil, manchmal schwindelerregend, aber ich klettere sie weiter. Und jeder noch so kleine Fortschritt ist ein Grund zum Feiern.

Und ihr? Was waren eure ersten Hürden im Diabetes-Alltag?

Welche Fehler haben euch zum Schmunzeln gebracht und welche kleinen Siege haben euch gezeigt, dass ihr es packt?

Teilt eure Geschichten, ich bin gespannt!


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